Freitag, 5. Januar 2024

Das vergessene Medaillon

Lena

Die kleine Gasse erinnert ungemein an die Bilder der gefährlicheren und dunklen Seitengasse zur Winkelgasse, die ich, seit ich mit 10 Jahren zum ersten Mal Harry Potter gelesen habe, immer sofort sehe, wenn es um schmale Gassen und kleine Läden geht. Ich könnte nicht sagen, ob sich das Bild selbst verändert. Ich würde vermuten ja, denn es kamen ja zur ersten Vorstellung beim Lesen weitere Bücher und vor allem alle sieben Filme, die alle das Bild weiter prägten, über die Jahre hinzu. Aber zurück zu dem kleinen Laden.

Ich stehe nun also davor, betätige den Türknauf, drehe ihn vorsichtig nach rechts und drücke die Tür langsam nach innen auf. Leise klimpert es dabei, aber nicht störend.

Ich bin zunächst etwas orientierungslos, als ich mich mit zwei vorsichtigen Schritten komplett ins Innere des Trödelladens bugsiert habe. Die Regale voller Gegenstände überfordern mich, ja, es fühlt sich fast etwas erdrückend an. Und gleichzeitig riecht es gar nicht so muffig, wie ich es erwartet hatte. Etwas staubig schmeckt die Luft wohl, aber darüber liegt ein zarter Duft von Sanddorn, wenn ich mich nicht täusche. Zumindest nach etwas, das dem Sanddorn Tee vergleichbar ist, den ich seit einiger Zeit gerne trinke.

Angezogen und energetisiert vom vertrauten Duft begebe ich mich weiter ins Innere des Ladens. Schritt für Schritt laufe ich zuerst nach links, innen am Schaufenster entlang, welches einen bunten Mix enthält aus Büchern, Puppen, Bildern, Fotos, Schmuck, Tassen, Vasen und nicht aufzählbaren, unüberschaubar vielen anderen Dingen. Ich laufe weiter bis zu dem Regal, dass an der Wand, die rechts an das Schaufenster anschließt, steht. Und nehme wahr, dass hier das Thema Schmuck im Vordergrund zu stehen scheint. Zahlreiche Armreifen wurden auf eine Papierrolle gestreift, Ketten über Ketten hängen dort und zwischen allem, auf einem roten Kissen aus Samt, liegt es. Ein kleines ovales Medaillon. Nicht viel größer als mein Daumennagel. Es ist verschlossen und die Neugier zwingt mich, es in die Hand zu nehmen. Hauptsächlich, das gebe ich zu, um zu sehen, ob es sich öffnen lässt. Als ich das Medaillon in meine Finger nehme, spüre ich, wie glatt es ist. Bis auf den zarten Kranz aus klitzekleinen Blumenornamenten in der Mitte. Dort ist es etwas holpriger. Ich drücke auf den Knopf an der rechten Seite und denke noch, dass es wahrscheinlich sowieso nicht aufgeht. Parallel dazu ein kurzer Gedanke an den Horkrux aus Harry Potter, in dem ein Teil einer sehr dunklen Seele versteckt wurde.

Aber dieses Medaillon scheint nichts mit so etwas zu tun zu haben. Geschmeidig und ohne Probleme geht es mit einem leisen „Klick“ auf. Und mir schaut eine junge blonde Frau entgegen. Soweit es auf dem klitzekleinen Schwarzweißfoto zu erkennen ist, trägt sie ein helles Sommerkleid und befindet sich im Freien und lächelt, ja strahlt in die Kamera. Auf der linken Seite des Medaillons wäre noch Platz für ein zweites Foto. Die Stelle ist aber leer. Ich werfe noch einen Blick auf die Frau, klappe das Medaillon wieder zu und lege es zurück auf das rote Kissen. Heute kann es hierbleiben. Vielleicht komme ich mal wieder vorbei und wenn es dann noch da ist, frage ich nach dem Preis. Ich drehe mich um, gehe an der Schaufensterinnenseite zurück zur Ladentür, drehe den Knauf nach links und trete an die frische Luft.

 

Das Medaillon

Auf dem roten Samtkissen: Das daumennagelgroße Medaillon
Meine Finger greifen danach.
Gut oder böse?
Blumenornamente in der Mitte
Nach mutigem Klick: Strahlendes Lächeln.
Auf dem roten Samtkissen: Das daumennagelgroße Medaillon.
Meine Finger greifen danach.

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen