Freitag, 10. November 2023

Das Leben aus der Sicht eines Staubkorns

Maren

Ich will hier liegen bleiben, hier, am hinteren Rand des Kleiderschrankes, im Verbund mit anderen alteingesessenen Staubkörnern.

Ich bin recht sensibel, kleine Luftbewegungen spüre ich eher als meine Mitstäublinge.

Wir haben das Glück, als Reinigungskraft einen Mann zugeordnet bekommen zu haben. Er säubert seinen Putzbereich schnell, hurtig und mit wenig Sorgfalt. Dabei bevorzugt er zum Staubwischen einen Staubwedel. Wir freuen uns auf den wöchentlichen Termin. Dann ist es aus mit der Langeweile, selbst für die etabliertesten und unbeweglichsten, die sich oft in Wollmäusen verstecken und nicht aus den Ecken herauswollen, wirbeln durch die Luft. Nur wir können unser Juhu-Geschrei hören, das ist ein richtiges Fest mit Bewegung und Tanz.

Wenn dann die sogenannte Reinigungskraft den Staubwedel ausschüttelt, meist in unserer Nähe, heißt es, alles neu ordnen. Da greifen wir durch, auch träge Partikel müssen sich neue Ecken suchen. Wir wollen damit verhindern, sollte eine Kontrolle für die Reinigung kommen, dass in der Mitte des Zimmers Anzeichen unserer Population zu sehen sind. Ein Supergau wäre dann ein feuchtes Tuch zum Nachwischen. Dem wären wir mit unserer Taktik nicht gewachsen. Also heißt es, Rückzug in Ecken und unter Betten und Schränke. Sauberkeit vortäuschen ist das Ziel.

So ist unser Leben, grau, durchstrukturiert, verlogen, aber immer spannend.

 

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