Montag, 2. Januar 2023

Kosmos Hände

Ursula

Jeder Mensch hat zwei Hände, eine rechte und eine linke. Die beiden sind seitenverkehrt. Sie können einzeln eingesetzt werden, als Duo sind sie unschlagbar.  An einem Ende sind sie tief verwurzelt mit den Unterarmen, die wiederum mit den Oberarmen an der Schulter fest aufgehängt sind. An der anderen Seite wachsen vier Finger in die Höhe, der Fünfte im Bund sprießt etwas darunter, ein wenig abstehend aus der Handwurzel, biegt sich vorwitzig zur Seite und bildet eine Begrenzung der Hand. Jeder Finger hat mit seinen drei Gelenken, Daumen nur zwei, eine hohe Beweglichkeit.

Alle Finger haben einen Namen und oft eine spezielle Aufgabe. Der Daumen, verbunden mit dem kräftigen Ballen ist zwar nicht der größte, meist aber der stärkste an Volumen und Kraft. Er ist solo und im Verbund mit seinen Geschwistern ein fleißiger Arbeiter. Zu fast allen Tätigkeiten wird er herangerufen und folgt willig allen Anfragen. Seine Aufgabe war in früher Zeit über Leben und Tod zu entscheiden. Daumen runter, bedeutete den sicheren Tod, Daumen, hoch schenkte dem Gladiator neues Leben. Heute zeigt er dem geneigten Autofahrer die Reiserichtung des Anhalters. Er ist druckstark.

Der Zeigefinger, sein Nachbar, verfügt über weit mehr Funktionen. Er droht, er lockt mit gekrümmten Gelenken, er klopft an, er zeigt an und auf, er verneint, oft begleiten ihn scharfe Worte.

Der Mittelfinger ist der längste unter den Genossen. Mit seinem Nachbarn dem Zeiger stellt er sich auf und schwört die Wahrheit zu sagen. Ansonsten ist er in neuster Zeit zum Stinkefinger verkommen.

Der Ringfinger ist die diverse Prinzessin der kleinen Gemeinde. Er/sie/es darf sich schmücken mit Gold, Silber und Brillanten und stets Auskunft über den Familienstand erteilen.

Der letzte im Bunde ist der kleine Finger. Er ist die Muse der kraftvollen Handkante, die mit einem Schlag ein dickes Brett durchtrennen kann, ist darauf stolz und ein wenig überheblich. Seine Aufgaben sind winzig. Er taugt zum Nasebohren und begrenzt gegenüber dem Daumen, die Hand.

Der Handrücken begrenzt die Hand nach oben. Am oberen Ende der Finger befinden sich die Nägel. Leicht rosa, perlmuttfarben schimmernd, sind die Hornplättchen Schutz für die sehr empfindsamen Fingerspitzen und Schmuck für die Hand. Sie liegen scheinbar schlummernd in ihren Betten, leisten jedoch wertvolle Dienste bei kleinen feinen Arbeiten. Sie sind effektvolle Kratzer am eigenen Leib und bei mancherlei anderer Notwendigkeit. Sie wachsen langsam und können eine beachtliche Länge erreichen. Sie werden beschnitten, gefeilt, rund, eckig und spitz gestaltet und bemalt. Wer nicht die Geduld hat und das Wachsen abwarten kann, klebt künstliche, bereits geformte auf die natürlichen Nägel. Die Fingernägel sind Sehnsuchtsorte für dekorationswillige weibliche Wesen. Sie werden lackiert in allen Farben, kunstvoll bemalt und beklebt mit Glitzersteinchen. So entsteht auf den 10 Fingern eine kleine Galerie zur Freude der Künstlerin und anderer. Der Handrücken ist ein ehrlicher Verkünder des wahren Alters seiner Trägerin.

Die Handfläche, gegenüber dem Handrücken, erzählt vielfältig über die Arbeit und Tätigkeit ihrer Trägerin. Schwielen, Horn- und raue -Haut sind sichtbare Merkmale, für schwere, körperliche Arbeit. Sind die Handflächen glatt und weich, lässt dies auf leichte sanfte oder geistige Arbeiten schließen oder auf Müßiggang. Die Fingerkuppen mit ihren spinnwebfeinen Rillen und Linien darauf sind untrügliche Identifikation der dazu gehörenden Person.

Die Handfläche ist durchzogen von vielen Linien. Sie sind die Spielfläche selbsternannter Wahrsagerinnen. Sie geben den Fältchen Namen und erzählen von der Lebenslinie welches Alter man erreichen wird, wie viele Liebhaber noch eine Rolle spielen werden und ob das Geld bis zum seligen Ende reicht. Legt man alle Finger der Hand eng zusammen und beugt sie ein Stück nach innen, entsteht ein Trinkgefäß, hochwillkommen bei Wanderinnen, die durstig einen klaren Gebirgsbach kreuzen. Wenn alle Finger nach innen eingeklappt sind, heißt die Hand Faust. Gespreizte, ausgetreckte Finger ersetzen den Kamm.

Die Hände arbeiten und ruhen, sie musizieren und beten, zwicken und streicheln, wehren ab und holen heran, trösten und geben Ohrfeigen, halten fest und lassen los, schützen und schlagen, verbinden und trennen, helfen zum Leben und töten, pflanzen und beschneiden, säen und ernten, werfen und sammeln, boxen und tätscheln, ergeben sich und ballen Fäuste, sie werden blau und feucht, drücken und quetschen, wuscheln und flattern, heilen und schlagen Wunden, wärmen und kühlen, packen zu und lassen fallen, zerbröseln und messen ab, klatschen und winken, decken zu und auf, können lesen, sehen, tasten, sprechen, tanzen, fühlen und laufen.

Das erste, was ein Mensch fühlt, wenn er das Licht der Welt erblickt, sind Hände und oft auch das letzte, wenn er sie wieder verlässt.

Die Hände sind der kleine Kosmos des Lebens.

 

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