Sonntag, 9. April 2023

Mein Pullover erzählt

Dorothee

Ich bin ein hellblauer Rollkragenpullover aus einem weichen Wollgemisch. Meine Trägerin hat mich vor einem Jahr in einem Katalog entdeckt und dann zusammen mit meinem hellgrauen Bruder bestellt.

Eingepackt in durchsichtige Folie und mit einem Blatt Seidenpapier zusammengefaltet kam ich in einem kleinen Paket in Hamburg an. Die Freude meiner Ankunft war groß. Ich wurde aus meiner Umhüllung geschält, auseinandergefaltet und erst einmal von allen Seiten begutachtet. Das Ergebnis war anscheinend zufriedenstellend, denn meine Käuferin zog sich ihr Oberteil aus und probierte mich gleich an. Sie stellte sich mit mir vor einen großen Spiegel und betrachtete sich bzw. mich von allen Seiten. Ich durfte bei ihr bleiben.

Es dauerte auch nicht lange, bis sie mich den ganzen Tag lang trug. Draußen war es inzwischen kalt geworden und ich bot ihr die nötige Wärme, besonders am Hals. Sie trägt mich nun regelmäßig zu blauen, grauen oder schwarzen Jeans. Manchmal, wenn es sie besonders fröstelt, gesellt sich noch eine schwarze Weste oder eine blau gemusterte Wollstrickjacke zu mir. Die meiste Zeit sind wir zuhause, aber ab und zu darf ich auch raus. So war ich gerade gestern unterwegs, als sich meine Trägerin mit einer Freundin traf. Das ist für mich dann eine willkommene Abwechslung.

Etwas kritisch ist es, wenn ich mit in ein Restaurant darf. Dort besteht dann immer die Gefahr, dass ich schmutzig werde. Besonders Tomatensoße ist gefährlich. Rote Spritzer fallen auf meinem Hellblau besonders auf. Auch Essensgerüche setzen sich leicht in mir fest. Es gefällt mir gar nicht, wenn ich dann nach Gebratenem rieche. Aber auch meine Trägerin sorgt mitunter dafür, dass ich an den Ärmeln nicht mehr gut dufte. Sie merkt es dann selbst, schnüffelt an mir, rümpft die Nase und packt mich zur Schmutzwäsche. Dort treffe ich dann meine Brüder und Schwestern. Wir warten alle mit bangem Gefühl auf das, was uns erwartet.

Wenn wir genügend an der Zahl sind, werden wir – wir sind nämlich waschmaschinenfest – zusammen in eine große Stahltrommel gelegt, die Tür wird verschlossen und Wasser kommt hinzu. Die Trommel dreht sich, Waschpulver sorgt für Schaum, mir wird schwindlig, immer wieder läuft frisches Wasser nach und schmutziges wird abgepumpt. Am Ende werde ich dann auch noch geschleudert, bis ich am Inneren der Trommel klebe. Endlich geht die Tür wieder auf. Ich werde herausgenommen, geschüttelt, in Form gezogen und auf einem Wäscheständer ausgebreitet. Dort darf ich dann trocknen. Mit frischem Duft und jungfräulich sauber werde ich anschließend zusammengelegt und in den Schrank zu den anderen Pullovern gepackt. Dort warte ich auf meinen nächsten Einsatz.

 

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